3. Der deutsche Einkommensteuertarif

3.1. Begriff des Steuertarifs

Ein Steuertarif ist eine „Funktion, die jeder Bemessungsgrundlage einen Steuerbetrag zuordnet“1. Diese Funktion wird gesetzlich geregelt und schafft damit bei Verwaltung und Stpfl. Klarheit über den für eine bestimmte BMG zu zahlenden Steuerbetrag. Nach Homburg muss eine rechtsstaatlich erhobene Steuer aus diesem Grund tarifiert (also durch einen Tarif bestimmt) sein, da die Steuererhebung sonst willkürlich wäre.2

Der deutsche ESt-Tarif ist primär in § 32a Abs. 1 EStG geregelt. Er wird durch Regelungen in den §§ 32a Abs. 5/6, 32b, 34, 34a, 34b und 34c EStG ergänzt. Auch gibt es einen gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen, der in § 32d EStG geregelt ist. Zusätzlich gibt es verschiedene Steuerermäßigungen, die nach der Berechnung der tariflichen Einkommensteuer zum Zug kommen und damit keine Auswirkung auf den Tarifverlauf haben. Auf alle diese Sonderregelungen kann hier nicht eingegangen werden. Die Tarifgestaltung in § 32a Abs. 1 EStG ist in Abschnitt 3.5.1 genauer beschrieben.

3.2. Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer: Das zu versteuernde Einkommen

Neben dem Tarif spielt für die Steuerbelastung auch die BMG eine große Rolle, da auf sie der Tarif angewendet wird. Die BMG der ESt ist das zu versteuernde Einkommen (zvE). Nach Hey ist dieses im Wesentlichen zweistufig aufgebaut und ermittelt sich als die Summe der Einkünfte abzüglich des indisponiblen Teils des Einkommens, also des Betrags, der zur Steuerzahlung nicht zur Verfügung steht.3

Dieser Teil des Einkommens besteht nach Hey aus privaten Abzügen i.S.d. § 2 Abs. 4 und 5 EStG (bspw. Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen, bestimmte persönliche Freibeträge). Dass diese Abzüge nicht Teil der BMG sind, stellt gemeinsam mit dem Grundfreibetrag das subjektive Nettoprinzip sicher.4

A hat einen Gesamtbetrag der Einkünfte (GdE) i.H.v. 40.000 € sowie Vorsorgeaufwendungen i.H.v. 10.000 €. B hingegen hat einen GdE i.H.v. 36.000 € und Vorsorgeaufwendungen i.H.v. 6.000 €.

Die Vorsorgeaufwendungen gehören zum indisponiblen Teil des Einkommens und müssen vom GdE abgezogen werden. In der Folge haben A und B ein zvE von je 30.000 € und gelten als steuerlich gleich leistungsfähig. Ohne das subjektive Nettoprinzip hätte A eine höhere ESt-BMG als B. Durch das subjektive Nettoprinzip kommt es hingegen zur Umverteilung.

Nach meiner Auffassung gehört auch der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende und teilweise auch der Altersentlastungsbetrag zum indisponiblen Teil des Einkommens und nicht bereits zur ersten Stufe des Erwerbseinkommens. Diese persönlichen Freibeträge werden aufgrund von § 2 Abs. 3 EStG bei der Berechnung des Gesamtbetrags der Einkünfte abgezogen. Hey ordnet diesen Absatz jedoch fälschlicherweise bereits dem „Tatbestand Summe der Einkünfte“5 zu.

Ob die BMG der ESt nach der objektiven oder nach der subjektiven Leistungsfähigkeit bestimmt werden sollte, ist umstritten. Nach Weber werde die subjektive Leistungsfähigkeit insbesondere von Steuerrechtswissenschaftlern bevorzugt. Ökonomen würden diese ablehnen, da Umverteilungszwecke sachlich nicht zum Steuerrecht gehörten und damit unsystematisch seien. Das geltende Recht erfasst die subjektive Leistungsfähigkeit.6 Dieser Status quo soll im Folgenden als vorausgesetzt gelten, da eine Veränderung in diesem Bereich durch andere politische Maßnahmen außerhalb des Themas dieser Arbeit ausgeglichen werden müsste.

Es lässt sich festhalten, dass in das zvE wesentliche Überlegungen zur Leistungsfähigkeit eingehen. Daher ist sie ein wirksamer Indikator der Leistungsfähigkeit für Zwecke der ESt. Wer gleich leistungsfähig ist, hat (den gleichmäßigen Gesetzesvollzug vorausgesetzt) das gleiche zvE und damit dieselbe BMG der ESt zu unterwerfen. Dies stellt die horizontale Steuergerechtigkeit sicher.

3.3. Der Grundfreibetrag im Kontext des Existenzminimums

Bei einem zvE unter dem Existenzminimum würde das Einkommen besteuert werden, das zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendig ist. Nach Hey widerspräche eine solche Besteuerung der Einheit der Rechtsordnung, denn man nähme dem Steuerpflichtigen das weg, „was ihm mit den Mitteln des Sozialrechts sogleich wieder zurückgegeben werden müsste“7, der Stpfl. soll „nicht in existenzielle Nöte“8 gebracht werden. Nach dem BVerfG ist dies auch durch die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG begründet – ein Steuergesetz dürfe keine erdrosselnde Wirkung haben.9

Das BVerfG hat dabei offengelassen, ob und inwieweit das Existenzminimum auch dann zu berücksichtigen ist, wenn das zvE über dem Existenzminimum liegt.10 Nach den vorgestellten Grundsätzen wäre es jedoch ungerecht, das gesamte zvE zu besteuern. Ansonsten wären auch die unentbehrlichen Konsumausgaben mit der ESt belastet, obwohl dieser indisponible Teil des Einkommens nicht zur Besteuerung zur Verfügung steht.

Aus diesem Grund wird im Rahmen des ESt-Tarifs ein Grundfreibetrag berücksichtigt. Er wird bei der Gesetzgebung auf Basis der regelmäßigen Existenzminimumberichte der Bundesregierung in die Tarifformeln eingearbeitet. Nach der ständigen BFH-Rechtsprechung ist diese Vorgehensweise zulässig.11 Alternativ wäre auch ein Abzug eines Freibetrags vom zvE oder der Abzug eines bestimmten Betrags von der Steuerschuld denkbar.12 Die Berücksichtigung als Freibetrag wäre auch systematisch richtig.13 Der deutsche Gesetzgeber hat sich jedoch zulässigerweise dafür entschieden, den Betrag direkt im Tarif zu berücksichtigen.

3.4. Durchschnitts- und Grenzsteuersatz

Genau wie bei der konkreten Umsetzung des Grundfreibetrags sind auch viele verschiedene Tarifgestaltungen theoretisch denkbar. Sie unterscheiden sich primär in der Entwicklung ihrer Durchschnitts- und Grenzsteuersätze.14

Der Durchschnittssteuersatz gibt die prozentuale Besteuerung des gesamten zvE an. Der Grenzsteuersatz bezieht sich hingegen auf die prozentuale Besteuerung eines Mehrbetrags in der BMG und ist damit insbesondere nützlich, um die steuerliche Auswirkung eines einzelnen Geschäftsvorfalls zu berechnen.15

Bei einer BMG von 10.000 € ist nach einem fiktiven Steuertarif eine Steuer von 1.000 € zu zahlen. Der Durchschnittssteuersatz beträgt damit:

GesamtsteuerGesamt-zvE=1.000 €10.000 €=10 %

Wenn aufgrund eines zusätzlichen Geschäftsvorfalls die BMG auf 11.000 € ansteigt, ergibt sich hier im fiktiven Tarif aufgrund der überproportional ansteigenden Steuerbelastung eine Steuer von 1.200 €. Der Durchschnittssteuersatz beträgt nun:

1.200 €11.000 €=10,91 %

Der Grenzsteuersatz auf diesen Geschäftsvorfall beträgt:

MehrsteuerMehr-zvE=200 €1.000 €=20 %

Dass der Grenzsteuersatz tatsächlich die steuerliche Auswirkung des Geschäftsvorfalls darstellt, zeigt sich, wenn die Gesamtsteuerbelastung aus den beiden Teilen der BMG zusammengesetzt berechnet wird:

10.000 €·10 %+1.000 €·20 %=1.200 €

In der Praxis wird der Grenzsteuersatz meist als punktueller Wert angegeben, er ist dann die Ableitung der Tariffunktion an dieser Stelle. Bei der Kalten Progression spielt besonders der Durchschnittssteuersatz eine Rolle, da dieser die steuerliche Gesamtbelastung des Stpfl. darstellt.

3.5. Progression

Ein progressiver Steuertarif ist ein Tarif, bei dem der Durchschnittssteuersatz wie im obigen Beispiel mit der BMG steigt. Der Durchschnittssteuersatz ist dabei nach oben begrenzt, sodass sich bei sehr hohen Einkommen keine Auswirkung der Progression mehr feststellen lässt. Im Gegensatz dazu ist ein proportionaler Steuertarif ein Tarif, bei dem der Durchschnittssteuersatz konstant bleibt.16

3.5.1. Funktionsweise der Progression

Bei den progressiven Tarifen wird unterschieden zwischen der direkten und der indirekten Progression. Bei direkt progressiven Tarifen steigt mit der BMG auch der Grenzsteuersatz an, die Progression ist direkt im Tarif eingebaut. Im Gegensatz dazu ist der indirekt progressive Steuertarif im Kern ein proportionaler Tarif, bei dem der steigende Durchschnittssteuersatz nur indirekt durch einen Grundfreibetrag entsteht. Es handelt sich bei indirekt progressiven Tarifen damit um lineare Tarife. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass der Grenzsteuersatz konstant bleibt (auch Flat Tax genannt).17

Dieser Unterschied zwischen den Progressionsarten wird besonders deutlich, wenn man die Entwicklung des Steuerbetrags im jeweiligen Tarif betrachtet (Dar. 1). Im indirekt progressiven Tarif verläuft die Steuerbetragskurve nach der Nullzone linear, während sie im direkt progressiven Tarif im Verhältnis zur BMG überproportional ansteigt. Auch zeigt sich der Umverteilungseffekt der direkten Progression – bis zum Schnittpunkt ist die absolute Steuerbelastung niedriger als bei der indirekten Progression, ab diesem Punkt dafür höher.

Bemessungsgrundlage Steuerbetrag Nullzone (Grundfreibetrag) Direkt progressiver Tarif Indirekt progressiver Tarif (linearer Tarif mit Grundfreibetrag)
Dar. 1: Entwicklung des Steuerbetrags im direkt und indirekt progressiven Tarif

In der interaktiven Darstellung kann der dargestellte Tarif ausgewählt werden. Zusätzlich ist auch ein proportionaler Tarif verfügbar. Wie beim indirekt progressiven Tarif verläuft hier die absolute Steuerbelastung linear, allerdings mangels Grundfreibetrag bereits ab dem ersten Euro der BMG.

Dieser Unterschied wird besonders deutlich, wenn von der Kurve des Steuerbetrags auf die des Durchschnittssteuersatzes umgeschaltet wird. Im proportionalen Tarif ist der Durchschnittssteuersatz und damit auch der Grenzsteuersatz konstant, im indirekt progressiven Tarif beginnt der Durchschnittssteuersatz bei null und nähert sich dem Grenzsteuersatz immer weiter an. Im direkt progressiven Tarif ist dieser Effekt noch deutlicher, da der Progressionsgrad höher ist.

Die folgende Dar. 2 zeigt den deutschen ESt-Tarif 2019 aus § 32a Abs. 1 EStG in der Fassung des Familienentlastungsgesetzes vom 29.11.2018 (BGBl. I 2018, S. 2210). Die Berechnung erfolgte mittels der Herleitung von Pfeifer.18 Der Splitting-Tarif, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer bleiben hier unberücksichtigt.

Der Programmcode zur Tarifberechnung ist dieser interaktiven Fassung der Arbeit als Anlage 1 beigefügt.

zvE 0 € 10.000 € 20.000 € 30.000 € 40.000 € 50.000 € 60.000 € 70.000 € 80.000 € 90.000 € 100.000 € Steuersatz 0 % 5 % 10 % 15 % 20 % 25 % 30 % 35 % 40 % 45 % 50 % Steuerbetrag 0 € 5.000 € 10.000 € 15.000 € 20.000 € 25.000 € 30.000 € 35.000 € 14,00 %23,97 %42,00 %Grenz-steuersatz 35,10 % zvE 40.000 € × Durchschnitts-steuersatz 21,42 % = Steuerbetrag 8.569 €
Dar. 2: Entwicklung von Steuerbetrag, Grenz- und Durchschnittssteuersatz im ESt-Tarif 2019

An der Durchschnittssteuersatzkurve wird sichtbar, dass es sich beim deutschen ESt-Tarif um einen progressiven Steuertarif handelt. Da der Grenzsteuersatz mit dem zvE ansteigt, handelt es sich um einen direkt progressiven Tarif. Aufgrund des linearen Anstiegs des Grenzsteuersatzes ist der Tarif linear-progressiv. Im Gegensatz zum ebenso denkbaren Stufentarif werden durch den linearen Verlauf ungerechte Belastungssprünge zwischen verschiedenen Tarifstufen vermieden.19

Der Tarif ist in fünf Tarifzonen aufgeteilt, die direkt ineinander übergehen: Die Nullzone (Grundfreibetrag) sowie die zwei Progressions- und die zwei Proportionalzonen. Innerhalb der Progressionszonen steigt der Grenzsteuersatz linear an, innerhalb der Proportionalzonen bleibt er jeweils konstant.20 Die zweite Proportionalzone beginnt im ESt-Tarif 2019 bei 265.326 € und ist deshalb nicht dargestellt. In dieser Zone erhöht sich der Grenzsteuersatz von 42 % auf 45 % (sog. Reichensteuer).

Unter der Darstellung ist exemplarisch die Berechnung für ein zvE von 40.000 € dargestellt. Es zeigt sich erneut, dass der Durchschnittssteuersatz konkret mit dem Steuerbetrag zusammenhängt.

In der interaktiven Darstellung kann mit der Maus bzw. per Touch die rote Markierung verschoben werden. Auch können alle ESt-Tarife von 2007 bis 2020 ausgewählt werden.

Es zeigt sich, dass die Kurve des Grenzsteuersatzes in diesem Zeitraum kontinuierlich nach rechts verschoben wurde. Die Eckwerte (die Punkte, an denen die Kurve des Grenzsteuersatzes einen Knick bildet) wurden hingegen nur einmal vertikal verändert – im Tarif 2009 wurde der Eingangssteuersatz von 15 % auf 14 % gesenkt. Bis auf diese Anpassung blieben die Grenzsteuersätze konstant, es kam lediglich zu einer horizontalen Verschiebung.

Dennoch ist die Durchschnittssteuerbelastung auch für hohe Einkommen gesunken. Dies wird deutlich, wenn die rote Markierung in die erste Proportionalzone mit dem Grenzsteuersatz von 42 % verschoben wird. Wird nun das Tarifjahr geändert, verändert sich auch die Durchschnittssteuerbelastung und damit der Steuerbetrag – und das bei gleichbleibendem Grenzsteuersatz. Dies ist dadurch begründet, dass der Durchschnittssteuersatz die Belastung bezogen auf das gesamte zvE darstellt – auch auf die Einkommensteile, die in den Tarifzonen des Grundfreibetrags und der Progressionszonen liegen. Da diese Einkommensteile durch die Rechtsverschiebung geringer belastet werden, profitieren hiervon alle Stpfl.

3.5.2. Die Progression im Kontext der vertikalen Steuergerechtigkeit

Für die Gestaltung des Einkommensteuertarifs ist insbesondere die vertikale Steuergerechtigkeit entscheidend. Wie in Abschnitt 2.2 festgestellt wurde, wird durch diesen Grundsatz kein bestimmter Tarifverlauf vorgegeben. Hier hat der Gesetzgeber also grundsätzlich mehrere Möglichkeiten wie den linearen Tarif (konstanter Grenzsteuersatz; Flat Tax) oder den direkt progressiven Tarif (je höher das Einkommen, desto höher der Grenzsteuersatz).

Bereits 1891 wurde in Preußen ein progressiver Steuertarif eingeführt. Maßgebend hierfür war insbesondere die Opfertheorie nach Jean-Jacques Rousseau (1755): „Er legte dar, dass die Steuer nach der Größe des Vermögens abgestuft werden müsste. Je größer das Vermögen sei, desto entbehrlicher werde es für die Befriedigung der Lebensbedürfnisse“21. Im 1. Parteispendenurteil von 1958 vertrat das BVerfG aus demselben Grund ebenfalls noch die Auffassung, ein progressiver Tarif sei aufgrund der verhältnismäßigen Gleichheit der einzige gerechte Steuertarif.22

Nach Wagner ist diese Entscheidung wegen ihrer geringen Argumentationstiefe überholt.23 Auch Weber sieht keinen wissenschaftlich nachprüfbaren Grund für einen bestimmten Tarifverlauf.24 Daher spricht nun auch das BVerfG dem Gesetzgeber einen weitgehenden Entscheidungsspielraum bei der Tarifgestaltung zu und verlangt dabei lediglich die folgerichtige Umsetzung sowie die Sicherstellung der Privatnützigkeit des Einkommens.25

Zum optimalen ESt-Tarif werden in der Literatur unterschiedliche Auffassungen vertreten. Es kann unterschieden werden zwischen Befürwortern der Flat Tax, Befürwortern des derzeitigen direkt progressiven Tarifs sowie Kompromissvorschlägen.

Homburg stellt dar, dass die Progression aufgrund der Abschnittsbesteuerung zur Ungleichbehandlung schwankender Einkünfte gegenüber gleichmäßig verteilter Einkünfte führe. Da die Lebens-Leistungsfähigkeit in beiden Fällen identisch sei, stelle dies einen Verstoß gegen den Grundsatz der horizontalen Steuergerechtigkeit dar. Er sieht als optimalen Steuertarif daher eine „Flat Tax mit Grundfreibetrag und konstantem Grenzsteuersatz“26. Nach Hey sei die Progression lediglich ein Instrument sozialstaatlicher Umverteilung. Sie habe dabei auch Nachteile, u.a. da sie aufgrund der höheren Besteuerung zusätzlichen Einkommens leistungshemmend wirke27 und dazu führe, dass unwirtschaftliche Investitionen getätigt werden, um den persönlichen Steuersatz zu reduzieren. Außerdem würden persönliche Freibeträge wie der Grundfreibetrag und die privaten Abzüge Spitzenverdiener aufgrund des höheren Steuersatzes stärker entlasten (sog. Degressionswirkung28). Allerdings sei „eine Absenkung des Einkommensteuertarifs in die Richtung einer ‚flat tax‘ mit niedrigem Einheitssteuersatz […] für Sozialstaaten fiskalisch nicht verkraftbar, da die Spitzenverdiener die Hauptlast der Einkommensteuer tragen“29. Für Hey sind damit weder die Flat Tax noch der progressive Tarif optimal.

Nach dem Satz von Jakobsson kommt es durch den progressiven Tarif zur Umverteilung, da dieser eine gleichmäßigere Verteilung der Nettoeinkommen als die der Bruttoeinkommen hat.30 Für Weber ist daher die Progression erforderlich, um die Umverteilungsgerechtigkeit sicherzustellen, die aus sozialer Perspektive zu fordern sei.31 Nach Wagner sei aufgrund des Gleichheitssatzes ausschließlich eine möglichst gleichmäßig ansteigende Steuerbelastung erforderlich32, die auch durch einen proportionalen Tarif sichergestellt werden könne. Vor dem Hintergrund des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums ließe sich die Progression aber durch das Sozialstaatsprinzip rechtfertigen.33

Eine hohe Bedeutung des Sozialstaatsprinzips sieht auch Siegel. Für ihn käme eine Kopfsteuer (derselbe Steuerbetrag für alle Stpfl.) nicht in Betracht, der Staat könne also nicht ganz auf Umverteilung verzichten. Er sieht auch bei einer Flat Tax einen Umverteilungseffekt, weil „ein Stpfl. bei Besteuerung eines hohen Einkommens wohl relativ weniger Nutzen aus den Staatsausgaben zieht als ein Empfänger eines niedrigen Einkommens“34. Egner/Gries legen den Schwerpunkt auf die leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung: „Auch ein proportionaler Tarif (‚Flat Tax‘) berücksichtigt letztendlich die individuelle Leistungsfähigkeit durch Anwendung auf eine leistungsabhängige Bemessungsgrundlage“35.

Es zeigt sich, dass progressive Tarife durchaus auch erkennbare Nachteile haben, die mit dem bezweckten Umverteilungseffekt abgewogen werden müssen. Da dieser Umverteilungszweck auch (in abgemilderter Form) mit einer Flat Tax erreicht werden kann und das BVerfG dem Gesetzgeber nach der neuen Rechtsprechung einen großen Entscheidungsspielraum lässt, wäre auch eine solche Flat Tax denkbar, die aber wiederum haushaltspolitische Probleme nach sich ziehen kann.

Eine nach allen Kriterien optimale Tarifgestaltung gibt es somit nicht. Auch hängt sie durch den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers stark von der politischen Zielsetzung ab. Zumindest kann festgehalten werden, dass die derzeitige direkt progressive Tarifgestaltung nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben vertretbar ist. Wie die Progression konkret verlaufen soll, bleibt jedoch weiter offen.