5. Definition der Kalten Progression

Der Begriff der Kalten Progression wird erstaunlicherweise von einigen Literaturquellen nicht oder nicht konkret definiert, sondern als bekannt vorausgesetzt. Da die Zielsetzung zum Ausgleich der Kalten Progression entscheidend von der genauen Begriffsdefinition abhängt, soll im Folgenden eine Definition der Kalten Progression entwickelt werden.

5.1. Grundproblematik der Kalten Progression

Alle Definitionen aus den vorliegenden Literaturquellen haben gemeinsam, dass es sich bei der Kalten Progression um eine Erhöhung der Steuerbelastung der Stpfl. handelt, die sich nicht durch eine erhöhte Leistungsfähigkeit begründen lässt. Bei der durch die Kalte Progression verursachten Steuererhöhung handelt es sich damit um eine illegitime Steuererhöhung, die der Steuergerechtigkeit widerspricht.1

Die Kalte Progression wird auch als „heimliche Steuererhöhung“ bezeichnet, da die schleichende Erhöhung der Steuerbelastung vielen Stpfl. nicht auffällt.2

Um diese Steuererhöhung auszugleichen, muss eine Anpassung des progressiven ESt-Tarifs erfolgen. Neben dem ESt-Tarif als solches sind auch alle in Euro bestimmten Beträge in der BMG wie Freibeträge (bspw. der Ehrenamtsfreibetrag) und Freigrenzen (bspw. für Sachbezüge) sowie Abzugshöchstgrenzen (bspw. bei den Vorsorgeaufwendungen) betroffen. Auch diese müssten demnach an die Kalte Progression angepasst werden, da sonst das zvE nicht mehr die korrekte Leistungsfähigkeit darstellt.3 Zur Vereinfachung konzentriert sich die folgende Betrachtung auf den Tarif als solches, die Feststellungen lassen sich aber auf die Abzugsbeträge übertragen.

5.2. Überblick über die verbreiteten Definitionen

Die Definitionen aus den vorliegenden Literaturquellen unterscheiden sich im genauen Umfang der Kalten Progression.

Einigkeit besteht darüber, dass das Zusammenspiel von Inflation und dem progressiven ESt-Tarif eine Ursache für die Kalte Progression ist (sog. Kalte Progression im engeren Sinn). Danach führen Einkommenserhöhungen, die lediglich die Inflation ausgleichen und damit nicht zu einem Anstieg des Realeinkommens führen, aufgrund des progressiven ESt-Tarifs zu einer Erhöhung des Durchschnittssteuersatzes.4 Nach dieser, insbesondere auch von der Bundesregierung vertretenen Definition gehören Einkommenssteigerungen, die über die Inflationsrate hinausgehen, nicht zur Problematik der Kalten Progression.5

Manche Autoren sehen den Umfang der Kalten Progression weiter. Nach ihnen entsteht die Kalte Progression allein durch den Anstieg der Nominaleinkommen, unabhängig von der Inflation (sog. Kalte Progression im weiteren Sinn oder Reale Progression).6

Während die Kalte Progression i.e.S. also nur konstante Realeinkommen umfasst, ist nach der Definition der Kalten Progression i.w.S. vollkommen unbeachtlich, ob und wie sich das Realeinkommen verändert. Es sei auch der gesamtgesellschaftliche Anstieg der Realeinkommen eine Ursache der Kalten Progression.7

Die Arbeitnehmerin A aus Beispiel 6 hatte vor ihrer Gehaltserhöhung einen monatlichen Arbeitslohn von 4.000 €. Davon wurde nach einem fiktiven ESt-Tarif LSt i.H.v. 400 € einbehalten, sodass sich ein Durchschnittssteuersatz von 400 €4.000 €=10 % ergibt. Nach ihrer 2 %-igen Gehaltserhöhung auf nominale 4.080 € hat sich die fiktive Belastung mit LSt auf 420 € erhöht. Dies ist 5 % mehr als die LSt auf den alten Arbeitslohn. Der Durchschnittssteuersatz beträgt nun 420 €4.080 €=10,29 %. Obwohl durch die Gehaltserhöhung exakt die Inflation ausgeglichen werden sollte, bleibt A wegen der höheren Steuerbelastung ein geringeres Netto-Realeinkommen, um sich und ihre Familie zu versorgen.

Um diesen Effekt zu vermeiden, hätte sich die LSt nur genau wie das Gehalt um 2 % erhöhen dürfen. Der Durchschnittssteuersatz wäre dann ebenfalls gleich geblieben. Dass dieser sich erhöht hat, ist der Effekt der Kalten Progression i.e.S., der durch den progressiven Tarif entsteht. In einem proportionalen Tarif wäre hingegen stets sichergestellt, dass der Durchschnittssteuersatz bei Erhöhungen des Einkommens unverändert bleibt.

Es kann auch gezeigt werden, dass es zur Kalten Progression i.e.S. auch dann gekommen wäre, wenn A nur eine Gehaltserhöhung um 1 % erhalten hätte. Der Begriff der Kalten Progression i.e.S. umfasst daher alle Mehrbelastungen, die bis zur Erhöhung des Nominaleinkommens auf das identische Realeinkommen entstehen. Hätte bei konstanter Inflation von 2 % die Gehaltserhöhung jedoch bspw. 3 % betragen, würde es sich beim übersteigenden Teil von einem Prozent nicht um die Kalte Progression i.e.S. handeln, da sich insoweit das Realeinkommen erhöht hätte.

Nach der Definition der Kalten Progression i.w.S. ist die steuerliche Mehrbelastung aus allen drei Szenarien durch die Kalte Progression veranlasst, da es nicht auf das Realeinkommen ankommt und es deshalb keine Rolle spielt, ob die Gehaltserhöhung geringer oder höher als die Inflationsrate ist oder ob die Gehaltserhöhung die Inflation exakt ausgleicht. Insbesondere das erhöhte Realeinkommen ist von der Definition der Kalten Progression i.w.S. umfasst, nicht aber von der Definition der Kalten Progression i.e.S.

5.3. Leistungsfähigkeit im Zeitverlauf

Die Kalte Progression entsteht nach beiden Definitionen erst im Zeitverlauf. Verglichen wird hier somit das (Real-)Einkommen eines Stpfl. zu zwei verschiedenen Zeitpunkten.

Würde man die Leistungsfähigkeit anhand des Nominaleinkommens definieren, wäre der Zeitverlauf unbeachtlich – die Inflation und der Anstieg der Realeinkommen haben auf das Nominaleinkommen schließlich keine Auswirkung. Es gäbe nach dieser Definition der Leistungsfähigkeit also auch keine Kalte Progression.8

Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist jedoch ein Realwertprinzip und basiert damit auf Realwerten, nicht auf Nominalwerten. Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt beim progressiven Tarif eine zeitlich gleichbleibende Relation zwischen Realeinkommen und Steuerlast.9 Im deutschen ESt-Recht gilt hingegen das Nominalwertprinzip, da alle Beträge mit ihrem Nominalwert angegeben und berechnet werden.10 Dies erzeugt einen Konflikt, der vom Gesetzgeber nur durch eine Tarifanpassung gelöst werden kann.

Grundgedanke für diese Tarifanpassung muss die in Abschnitt 2.2 vorgestellte horizontale und vertikale Steuergerechtigkeit sein. Berücksichtigt man diese, so muss die Steuerbelastung im Zeitverlauf genau dann gleich bleiben, wenn sich die Leistungsfähigkeit nicht verändert hat. Erhöht sich die Leistungsfähigkeit im Zeitverlauf, muss die Steuerbelastung hingegen steigen.

Hierfür ist zunächst zu bestimmen, wie Leistungsfähigkeit im Zeitverlauf ausgedrückt werden kann. Diese Betrachtung hängt direkt von der jeweiligen Definition der Kalten Progression ab.

5.3.1. Leistungsfähigkeit des Einzelnen

Zunächst soll die wirtschaftliche Auswirkung von Einkommenserhöhungen auf die Stpfl. betrachtet werden.

Wie in Abschnitt 4.2 festgestellt wurde, ist für den Einzelnen nicht das Nominal-, sondern das Realeinkommen entscheidend. Bleibt dieses konstant, bleibt auch die Kaufkraft und damit die steuerliche Leistungsfähigkeit konstant. Hingegen führt eine Erhöhung des Realeinkommens zu einer Erhöhung der Kaufkraft und damit auch zu einer Erhöhung der steuerlichen Leistungsfähigkeit.11

Berücksichtigt man allein den einzelnen Stpfl., so kommt man also zum Schluss, dass die Leistungsfähigkeit im Zeitverlauf am Realeinkommen gemessen werden sollte, die Anpassung des ESt-Tarifs sollte damit nach der Inflationsrate erfolgen. Dies entspricht genau der Definition der Kalten Progression i.e.S.

5.3.2. Leistungsfähigkeit im gesellschaftlichen Vergleich

Diese Definition der Leistungsfähigkeit widerspricht sich jedoch mit der Definition der Kalten Progression i.w.S., da diese auch dann auftritt, wenn das Realeinkommen steigt. Bezogen auf den Einzelnen kann jedoch bei gestiegenem Realeinkommen keine identische Leistungsfähigkeit vorliegen, da dies das Prinzip der vertikalen Steuergerechtigkeit verletzen würde. Um dieses Prinzip sicherzustellen, muss daher bei gestiegenem Realeinkommen ein Vergleich mit der gesamtgesellschaftlichen Erhöhung der Realeinkommen erfolgen. Nur das über diese allgemeine Erhöhung hinaus gestiegene Realeinkommen würde dann die Leistungsfähigkeit erhöhen, während ein mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung gestiegenes Realeinkommen zu gleicher Leistungsfähigkeit und damit zum Effekt der Kalten Progression i.w.S. führen würde.12

Anders als bei der Kalten Progression i.e.S. muss für die Kalte Progression i.w.S. damit nicht nur die Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Vergleich zum Vorjahr betrachtet werden, sondern zusätzlich auch die Leistungsfähigkeit des Einzelnen im Vergleich zu anderen Stpfl.

Für diesen Fremdvergleich wird ein Indikator benötigt. Die Befürworter der Definition der Kalten Progression i.w.S. schlagen vor, den Tarif nach der gesamtgesellschaftlichen Erhöhung der Realeinkommen anzupassen.13 Dieser Wert lässt sich statistisch ermitteln und wäre (wie die Inflationsrate bei der Kalten Progression i.e.S.) ein praktikabler Indikator für die Auswirkung der Kalten Progression i.w.S.

Allerdings ist zu beachten, dass eine vergleichende Definition der Leistungsfähigkeit auch auf andere Bereiche des ESt-Rechts angewendet werden müsste, um die verfassungsrechtlich gebotene Folgerichtigkeit (siehe Abschnitt 3.5.2) sicherzustellen. Die Leistungsfähigkeit nur im ESt-Tarif als vergleichenden Maßstab zu sehen, bei der ESt-BMG jedoch weiterhin individuell für jeden Stpfl., würde diesem Grundsatz widersprechen. Man könnte also auch bei anderen Regelungen mit vergleichender Tendenz (wie bei der 66 %-Grenze des § 21 Abs. 2 EStG) fordern, einen realistischen Indikator zu verwenden, anstatt im Gesetz einen pauschalen Wert festzulegen. Anstelle der 66 %-Grenze wäre bspw. die ortsübliche Mietpreisspanne zu bestimmen. Dies würde die Komplexität des ESt-Rechts weiter erhöhen.

5.3.3. Zwischenfazit

Es zeigt sich, dass sich die Auffassungen der Autoren vor allem in der jeweiligen Beurteilung der steuerlichen Leistungsfähigkeit unterscheiden. Für die Befürworter der Definition der Kalten Progression i.e.S. ist die Leistungsfähigkeit am Realeinkommen als solches zu messen, für die Befürworter der Definition der Kalten Progression i.w.S. am Realeinkommen im Vergleich zum Realeinkommensniveau der Gesamtgesellschaft.

Es kann festgehalten werden, dass sich die Leistungsfähigkeit aus Praktikabilitätsgründen am Realeinkommen des Einzelnen orientieren muss. Mit dieser Definition der Leistungsfähigkeit kann nur die Definition der Kalten Progression i.e.S. begründet werden, ohne den Grundsatz der vertikalen Steuergerechtigkeit zu verletzen.

5.4. Kritik an der Definition der Kalten Progression im engeren Sinn

Im progressiven Tarif erhöht sich die durchschnittliche Steuerbelastung des Einzelnen durch Erhöhungen des Realeinkommens ebenfalls (siehe Beispiel 7). Anders ausgedrückt, führt eine Einkommenserhöhung dazu, dass der Stpfl. in einen höheren Tarifbereich rutscht. Erhöht sich das allgemeine Einkommensniveau, ist von dieser Steuererhöhung auch der durchschnittliche Stpfl. betroffen.

Aus dieser Problematik leiten die Befürworter der Definition der Kalten Progression i.w.S. zwei Argumente ab, auf die im Folgenden eingegangen werden soll:

5.4.1. Verringerung des Umverteilungseffekts der Progression

Zunächst wird kritisiert, dass sich die Umverteilungswirkung des Tarifs immer weiter reduziert, wenn dieser lediglich an die Kalte Progression i.e.S., nicht aber an die Kalte Progression i.w.S. angepasst wird. Dies kann mit den festen Tarifzonen des ESt-Tarifs begründet werden (siehe Abschnitt 3.5.1). Erfolgt keine Anpassung an das Einkommensniveau, sind die Einkommensbereiche der einzelnen Tarifzonen irgendwann so gering, dass sich alle Stpfl. in der obersten Tarifzone befinden. Hierdurch wird der Umverteilungseffekt des progressiven Tarifs immer weiter reduziert, bis er schließlich ganz verschwindet.14

5.4.2. Steigendes Steueraufkommen

Ein weiterer Effekt der gesamtgesellschaftlichen Steuererhöhung durch die Kalte Progression i.w.S. ist das steigende Steueraufkommen. Da aufgrund der Inflation die Staatsausgaben wie auch die Konsumausgaben der Verbraucher mit der Zeit ansteigen, ist dies grundsätzlich auch gerechtfertigt.

Der Gebäudereinigungs-Unternehmer G wird vom Land BW regelmäßig beauftragt, die Räume und Flure in den Finanzämtern des Landes zu reinigen.

Im Jahr 01 verlangte er dafür 20 € pro Stunde, wovon 50 % (also 10 €) auf seine Lohnkosten entfallen. Im Jahr 02 kam es zu einer tariflichen Lohnerhöhung um 3 % auf 10,30 €. Die Kosten für Reinigungsmittel und Geräte sind gleichzeitig um die Inflationsrate von 2 % gestiegen, fallen jedoch bei der lohnintensiven Tätigkeit der Gebäudereinigung nicht ins Gewicht.

Da G seine Gewinnmarge konstant halten möchte, gibt er die Mehrkosten durch die Lohnerhöhung an seinen Auftraggeber weiter. Das Land BW muss nun 20,60 € pro Stunde für die Reinigungsarbeiten bezahlen. Um dies zu finanzieren, benötigt es ein um ebenfalls 3 % gestiegenes Steueraufkommen.

Aus dem Beispiel ergibt sich, dass das Steueraufkommen linear mit den Einkommen steigen muss, um den öffentlichen Haushalt zu finanzieren. In der Realität spielt auch die Inflation eine Rolle, da die Staatsausgaben zwar zu einem großen Teil aus Löhnen, Gehältern und Bezügen bestehen, jedoch auch Kosten eine Rolle spielen, die nicht genauso stark steigen. Es ist daher davon auszugehen, dass das Steueraufkommen etwas langsamer als das Einkommensniveau steigen muss.

In jedem Fall würde sich das reale Steueraufkommen durch einen Ausgleich der Kalten Progression i.w.S. zumindest nicht verringern, denn die Durchschnittssteuersätze auf die Realeinkommen würden nach dieser Definition konstant bleiben. Es käme also zur gewünschten linearen Erhöhung des Steueraufkommens.15

Gleicht man hingegen nur die Kalte Progression i.e.S. aus, obwohl das Realeinkommensniveau der Gesamtgesellschaft ansteigt, erhöht sich aufgrund der Progression mit der Zeit die Steuerquote.16 Der Staatshaushalt wird immer weiter aufgebläht. Dies wird von den Befürwortern der Definition der Kalten Progression i.w.S. kritisiert, da ein sparsamer Umgang mit den Steuereinnahmen nur dann gewährleistet sei, wenn der Staatshaushalt möglichst knapp bemessen wird.17

5.4.3. Auseinandersetzung mit der Kritik

Beide Argumente für den Ausgleich der Kalten Progression i.w.S. sind nachvollziehbar. Es erscheint geboten, ihre Auswirkung auszugleichen, um den Umverteilungseffekt des Tarifs beizubehalten und den Staatshaushalt auf einem konstanten Niveau zu halten.

Es ist jedoch nicht schlüssig, diese Argumente mit dem Effekt der Kalten Progression zu begründen. Wie in Abschnitt 5.1 festgehalten wurde, ist die durch die Kalte Progression verursachte Steuererhöhung illegitim. Im Umkehrschluss kann eine Steuererhöhung also nur dann durch die Kalte Progression verursacht sein, wenn sie illegitim ist.

In Abschnitt 3.5.2 hat sich bereits gezeigt, dass der ESt-Tarif ein Gebiet politischer Gestaltung ist und dass verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten logisch mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip begründet werden können. Auch hängt die Tarifgestaltung von weiteren Faktoren ab. So kann eine Steuererhöhung bspw. bei schlechter Haushaltslage mit der „schwarzen Null“ begründet werden. Genauso könnte der Gesetzgeber das Steueraufkommen zwischen Steuerarten verschieben, wenn er die Steuerbelastung unterschiedlicher Lebensbereiche verändern möchte (bspw. höhere Gewerbesteuer, dafür niedrigere ESt oder höhere Tabaksteuer, dafür niedrigere Umsatzsteuer). Alle diese Gestaltungen sind legitim, sofern die verfassungsrechtlichen Grundsätze beachtet werden.

Aus diesem Grund können sowohl die genaue Ausprägung der im progressiven Tarif verankerten Umverteilung als auch eine Erhöhung der Einkommensteuerquote nicht per se illegitim sein. Beide Argumente greifen damit nicht, wenn es um die Problematik der Kalten Progression geht und sollten aus dieser Diskussion herausgehalten werden. Dies ändert nichts daran, dass ein Ausgleich des Effekts steigender Realeinkommen erfolgen sollte, um die Probleme im Bereich der Umverteilung und des Staatshaushalts auszugleichen. Dieser Ausgleich muss jedoch nicht im Rahmen des Ausgleichs der Kalten Progression erfolgen, sondern kann vom Gesetzgeber unabhängig davon vorgenommen werden.

5.5. Zwischenfazit zur Definition der Kalten Progression

Anders als beim Grundfreibetrag, der zur Sicherstellung des Existenzminimums zwingend angepasst werden muss (siehe Abschnitt 2.3), ist die Anpassung an die Kalte Progression verfassungsrechtlich betrachtet nicht zwingend erforderlich, da der Gesetzgeber an keinen bestimmten Tarifverlauf gebunden ist (siehe Abschnitt 2.2).18 Die Anpassung ist jedoch geboten, um eine leistungsfähigkeitsgerechte Besteuerung sicherzustellen.

Aus dem Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Einkommensbesteuerung betrachtet überzeugt die Definition der Kalten Progression i.e.S., da sie sich umfassend mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip begründen lässt. Die Überlegungen, die in die Kalte Progression i.w.S. eingehen, sind Fragen politischer Gestaltung und lassen sich nicht mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen begründen oder widerlegen.19 Daher sollten diese Überlegungen auch nicht mit der Kalten Progression vermengt werden.

Die Kalte Progression wird damit für die weitere Betrachtung wie folgt definiert:

Die Kalte Progression bezeichnet die heimliche Erhöhung des ESt-Durchschnittssteuersatzes bei konstantem Realeinkommen aufgrund der fehlenden Inflationsanpassung der nominal im Tarif und in der BMG festgelegten Beträge.